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Le Bocal (Glasgefäß) |
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"Die Malerei hat immer abstrahiert, seit den Höhlen von Altamira über Velazquez bis zu Picasso. Den Fanatikern des Realismus habe ich oft gesagt, daß es Realität in der Malerei nicht gibt; sie existiert einzig und allein im Kopf des Betrachters. Kunst ist ein Zeichen, ein Ding, das die Realität in unserer geistigen Vorstellung wachruft. So sehe ich auch keinen Gegensatz zwischen Abstraktion und Figuration, solange sie jene Idee von Wirklichkeit in uns evozieren. Die ?Realität?, die das Auge uns zeigt, ist nur ein armseliger Schatten der Wirklichkeit."1 Die schwarzen Umrisse einer Glasflasche mit breiter Öffnung zeichnen sich vor der bräunlich-grauen und fleckigen Oberfläche des Bildes ab. Ein diagonal verlaufender, schwarzer Doppelstreifen mit einem siegelartigen Oval in der Mitte teilt das Gefäß. Am oberen Bildrand überlagert ein blockartiger weißer Rand mit einer Reihung von X-en den Gefäßhals. Am rechten Rand wird ein kleines schwarzes, an einer bandförmigen Lineatur hängendes Kreuz mit Kreis sichtbar. Letzteres ist eine Initiale des Künstlers. Das sehr malerisch und in mehreren Schichten lapidar aufgebaute Bild mit der für Tàpies so typischen, gedämpften Farbigkeit, mit welcher er sich bewußt von der Warenwelt absetzt und die daher mehr mystischen Charakter hat, ruft Erinnerungen an Graffiti auf Mauern (das katalanische Wort Tàpies bedeutet: Mauer) oder an zufällige Telefongesprächskritzeleien wach. Dennoch aber ist das Bild durchkomponiert und formal wie chromatisch organisiert. Was sich hier niederschlägt, ist der katalanische Geist - und Tàpies ist ein bewußter Katalane ! -, der sich so wohl durch Sparsamkeit (in den Mitteln) als zugleich auch durch reiche Imagination und Phantasie auszeichnet. Dieser besondere Geist verstand es immer, die Realität mit dem Imaginären zu verbinden. So dürfte auch hier das unvollständige Glasgefäß, das von anderem überdeckt ist, nur Anreize schaffen, eigenen Assoziationen zu folgen und der Vorstellungskraft, in welche Richtung auch immer, eigene Räume zu ermöglichen: "Wir wissen heute, daß in der Struktur der künstlerischen Kommunikation die Dinge auf magische Weise bald da sind und bald nicht da sind, daß sie auftauchen und verschwinden, von einem zum anderen übergehen, sich miteinander verflechten, Assoziationen wecken ? Alles ist möglich! Denn alles geschieht in einem unendlich viel größeren Feld als auf dem vom Rahmen begrenzten Medium des Bildes oder dessen, was es an materiellem Tatbestand bietet. Denn dieser materielle Tatbestand hat nur die Funktion eines Trägers, der den Betrachter dazu einlädt, an dem viel weitläufigeren Spiel der tausendundein Visionen und Gefühle teilzunehmen."2 Es ist kennzeichnend für den bedeutendsten zeitgenössischen Maler Spaniens, der sich intensiv mit dem katalanischen Mystiker, Philosophen, Dichter und Wissenschaftler Raimundus Lullus auseinandersetzte, daß seine Arbeiten immer ein nie vollkommen zu entschlüsselndes Geheimnis bergen, in welchem die alltäglichen Dinge in einen tieferen Wesenskreislauf eingebunden sind. Th. R. 1 Antoni Tàpies, zit. n.: Antoni Tàpies, Künstler, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 5, München 1989, S. 2 2 zit. n.: Hans Platschek, Die Sprachen der Materie, in: siehe Anmerkung 1, S. 7 Inventory Number: 1995-38 Signature: bezeichnet (u.r.: Tàpies) Signature: nummeriert (u.l.: 45/75) |
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