Back to item search | Add to album |
|
|
Stuhl |
|
Der kompakte Stuhl aus Buchenholz in seiner schwarz-orangefarbenen Lackierung ist ein typisches Beispiel für das Gebrauchsdesign in den ausgehenden 1960er und 1970er Jahren: Schlicht in der kubischen Grundform, aber schrill-bunt in der Farbgebung steht das Sitzmöbel für Modernität und Jugendlichkeit sowie dank der stabilen Bauweise für Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit. Dank dieser Eigenschaften gehörte der Stuhl 1972/73 zur Ersteinrichtung der im zeitgenössischen farbenfrohen und ornamentfreudigen Look gestalteten Zimmer des Apart-Hotels der neugeschaffenen Massenferienanlage "damp 2000" an der Küste Schwansens. Der Bau von groß angelegten, am Reißbrett entworfenen Ferienzentren erlebte zum Ende der 1960er und Beginn der 1970er Jahre einen Boom an der bis dahin abgesehen von traditionsreichen Seebädern wie Travemünde, dem Timmendorfer Strand oder Eckernförde touristisch mäßig erschlossenen schleswig-holsteinischen Ostseeküste. Insgesamt 31 Großbauprojekte waren zum Ende der 1960er Jahre in Schleswig-Holstein angedacht. Etwa zwei Drittel davon wurden realisiert, darunter neben damp 2000 der Ferienpark Sierksdorf, das intermar Grömitz, das IFA-Hotel Kellenhusen, der Südstrand Burgtiefe auf Fehmarn, der Ferienpark Heiligenhafen, das Ferienzentrum Holm in Wagrien und Port Wiking in Schleswig. Für Großbauunternehmer und Steuerspekulanten stellten Ferienzentren dank Zonengrenzabschreibung und Entwicklungshilfe-Steuergesetz eine lukrative Einnahme- bzw. Absatzmöglichkeit dar. An den meist dünnbesiedelten und vor allem land- und forstwirtschaftlich geprägten Küstenabschnitten war mit dem Bau von Massenferienanlagen die Hoffnung auf regelmäßige Einnahmen aus dem Bädertourismus, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Stärkung der Infrastruktur verbunden kurzum: die Anhebung der Lebensqualität im strukturschwachen Hinterland. Zusätzlich beflügelten die 1972 in Kiel anstehenden Olympischen Segelwettbewerbe die Erwartungen der Kommunen und Investoren. Nach Anregung externer Geldgeber sprach sich die Gemeinde Damp am 5. Dezember 1968 für den Bau der mit 7.000 Betten größten Ferienanlage des Bundeslandes aus; zum Vergleich: Der kurz zuvor fertiggestellte Ferienpark Heiligenhafen mit 6.000 und das Ferienzentrum Holm sowie der Ferienpark Sierksdorf mit jeweils 4.000 Betten folgten auf Platz Zwei und Drei in der Rangliste der größten "Bettenburgen" der Ostseeküste. Der für damp 2000 vorgesehene Landstrich, bis dahin kaum lukrativ erscheinende Weideflächen an einem sandstrandlosen und darum touristisch wenig attraktiven Küstenabschnitt 16 Kilometer von Eckernförde entfernt, wurde dem Großgrundbesitzer Graf Ludwig von Reventlow für 5 Millionen D-Mark abgekauft. Mit einem anvisierten Baubudget von 200 Millionen D-Mark fand auf der sprichwörtlichen "grünen Wiese" die Errichtung eines großdimensionierten Ferienkomplexes in zeittypischer Betonplattenbauweise statt. Neben einer geteerten Zubringerstraße von der Bundesstraße 203 und einer Stromtrasse erhielt damp 2000 binnen kürzester Zeit eine eigene Kläranlage, eine Großwäscherei, eine Einkaufszeile, mehrere Restaurants, eine Poststelle, eine Kirche, eine weitläufige Ferienhaussiedlung und zahlreiche Sport- und Freizeitanlagen sowie einen Yachthafen und einen eigens aufgeschütteten Badesandstrand. Selbst Linienfährschiffe legten in den 1970er Jahren vom neu geschaffenen Hafen in damp 2000 nach Kappeln und Eckernförde sowie für die beliebten "Butterfahrten" mit zollfreiem Einkauf nach Sonderburg und auf die dänische Insel ?rö ab. Um die Baupreise zu drücken, wurden wie vielerorts an der Ostseeküste auch in damp 2000 begünstigt durch die Ostpolitik Willy Brandts Bauarbeiter aus Ostblockländern angeheuert. So wurden zur Landseite ganze Straßenzüge von Nur-Dach-Häusern, sog. "Zeltdachhäusern nach Harzer Art", nicht nur nach Konstruktionsplänen aus der DDR, sondern auch von kostengünstigen Baubrigaden aus dem sozialistischen deutschen Nachbarstaat zusammenmontiert. Eine 30-monatige Kampagne in Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie Printwerbemittel mit dem heiteren maritimen Maskottchen "Hans Damp" (ein für den zeitgenössischen Humor typisches Wortspiel) begleiteten die Markteinführung von damp 2000 als neue touristische Attraktion an der bundesdeutschen Küste. Unter dem Slogan "Der Zeit voraus!", mit dem zukunftsweisenden Namenszusatz "2000" versehen und mit Fotos von attraktiven jungen Frauen, die sich in Bikinis auf Katamaranen räkeln, warb das neugeschaffene Ostseebad in den 1970er Jahren um ein anspruchsvolles Ferienpublikum. Dem angestrebten weltläufigen Image entsprachen auch das futuristische Ambiente der großzügig und in grellen Modefarben gestalteten Flure und Säle in den Hotelgebäuden, das Schwimmbad im obersten Stock und der Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach eines der Häuserblocks sowie die einheitlichen farbenfrohen Overalls des technischen Personals, wodurch die Ferienanlage im provinziellen Schwansen in den ersten Jahren ihrer Existenz wie das Filmset einer zeitgenössischen "James Bond"-Produktion anzumuten vermochte. Angesichts des wilden Baubooms ohne landschaftsplanerische Einschränkungen und aufgrund des Fehlens einer vorausschauenden volks- und tourismuswirtschaftlichen Gesamtplanung in der Region waren Ferienzentren wie damp 2000 bereits zu ihrer Entstehungszeit heftig umstritten: So unkte beispielsweise das politische Wochenmagazin "Der Spiegel" in seiner Ausgabe vom 3. Juli 1972 mit Blick auf die schleswig-holsteinische Ostseeküste von "Betonburgen", "Ferien-Silos", "Freizeitmaschinen" und "Freizeit-Gettos", verglich die klotzigen Urlaubsbauten gar mit dem Atlantikwall und mit Flaktürmen und beklagte den "Ausverkauf der Landschaft". Mit den ersten stockenden Bauprojekten etwa in Kellenhusen und Schleswig vor Augen prophezeiten einige Kritiker schon Anfang der 1970er Jahre "Investitionsruinen", "Geisterstädte" und "Slums". Darum wurde in damp 2000 zeitgleich während der ersten Bauphase neben dem Massentourismus eine Nutzung als Kur- und Rehabilitationseinrichtung eingeplant. Mit der zunehmenden Verbilligung und steigenden Attraktivität von Fernreisen während der 1970er und 1980er Jahre sowie mit der Öffnung des bundesdeutschen Urlaubsmarktes an der mecklenburg-vorpommerischen Ostseeküste im Zuge der Wiedervereinigung litten andere groß angelegte Ferienanlagen in Schleswig-Holstein an mangelnder Auslastung und verödeten sogar schlimmstenfalls. Der Damp-Betreiber verlagerte hingegen seinen ökonomischen Schwerpunkt zusehends auf den Medizin- und Reha-Sektor. In den 1990er und 2000er Jahren expandierte der Konzern zu einem florierenden Großunternehmen mit mehreren Tochtergesellschaften und aktuell ca. 7.700 Mitarbeitern verteilt auf Einrichtungen in ganz Schleswig-Holstein sowie in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Der zeittypische Stuhl aus den frühen 1970er Jahren gehört zu den wenigen erhaltenen dinglichen Relikten aus den bewegten Anfangsjahren des heutigen "Ostseebades Damp" (unlängst ohne 2000 im Namen und groß geschrieben), das durch marktbedingte Nutzungsänderungen und durch den gewandelten Zeitgeschmack Umgestaltungen an und in den Gebäuden des einstigen Massenferienquartiers erfahren hat und heute in erster Linie als trendgerechtes Reha-, Wellness- und Sportzentrum in Erscheinung tritt. Inventory Number: 2009VK81 Image rights: Freilichtmuseum Molfsee - Landesmuseum für Volkskunde |
Name des Museums
Titel des Bildes
Titel des Bildes