Thomas Schütte skizziert und aquarelliert seit Mitte der 1980er Jahre immer häufiger auch Bilder von Menschen. Die Identitätslosigkeit, die seinen plastischen Figuren eigen ist, behält er auch in der Zeichnung bei, aber dennoch tragen die Gesichter fiktiv individuelle Züge und werden zu selbst kriierten Typen und Menschenbildern. Sie entstehen zwar aus der Beobachtung, lasssen sich aber durch Schüttes Behandlung keinem Individuum mehr zuordnen. Ende der 1990er Jahre wendet er sich jedoch einem konkreteren Sujet zu - sich selbst. In großer Serie erstellt er, in einen Rasierspiegel blickend, Selbstportraits - die sogenannten Mirror Drawings. Jedesmal erfasst er dabei den kleinen Ausschnitt, den dieses Spiegelbild bietet mit neuem Ausdruck, so dass eine Art mimischer Code für seine eigene Körpersprache oder gar Persönlichkeit entwickelt wird. Das stark skizzenhafte Kieler Blatt zeigt, mit Bleistift vorgezeichnet und mit Buntstift sowie Pinsel verfeinert, das Antlitz des Künstlers im verfremdenden Format des Rasierspiegels in extremer Nahsicht. Abwesend blicken seine markanten Augen in die Ferne und der Mund wird von der stützenden Hand leicht nach oben gezogen. Frisur, Halsansatz und Kleidung werden abgeschnitten, so dass nichts vom Gesicht ablenken kann, worin sich möglicherweise das wiederfinden wird, was den - und nicht irgendeinen Menschen - ausmacht. Besondere Betonung erfährt hierbei die Augenpartie, die im Vergleich zum restlichen Gesicht immer stärker ausgearbeitet oder manchmal auch vergrößert wird. Schütte ist auf dem Wege über das Äußere auf der Suche nach dem Inneren, erklärt diesen Versuch jedoch selbst für gescheitert.
Q.: Thomas Schütte. Zeichnungen / Drawings, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden 2006, S. 35ff.

Literatur:

• Staatliche Kunsthalle Baden-Baden (Hrsg.): Thomas Schütte. Zeichnungen / Drawings, Baden-Baden, 2006

Inventarnummer: 1998-KH 29

Signatur: unbezeichnet

Ikonographie:

En face (Frontalansicht)