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Rosenkranzaltar |
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Der Marienaltar, auch "Rosenkranzaltar" genannt, stammt aus der Stiftung des Heiligen-Geist-Hospitals, das ab 1517/18 ein weltliches Altersheim war und dessen Oberaufsicht zweien der vier Lübeckischen Bürgermeister oblag. Die Kirche des Hospitals war vom Klerus der Stadt und vom Bischof unabhängig; die Bürgermeister schlossen Dienstverträge mit den Priestern und setzten Vorschriften für den Gottesdienst fest. Die Hospitalinsassen hatten bestimmte religiöse Regeln zu befolgen, sie waren z.B. zur Teilnahme an der Messe und zum Rosenkranzgebet verpflichtet. Der Altar muß aus stilistischen Gründen um die Mitte oder sogar gegen Ende der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts datiert werden, d.h. in eine Zeit des religiösen Umbruchs. Reformatorisches Gedankengut traf auf immer mehr Zustimmung innerhalb der Bevölkerung; der Rat allerdings wandte sich gegen alle reformatorischen Bestrebungen und hielt an der traditionellen Überzeugung fest. Der außerordentlich aufwendig gestaltete Altar zeigt ein Bildprogramm, das herkömmlicher katholischer Auffassung entspricht. In der jüngsten Literatur (Harff) wird die These vertreten, daß der Auftraggeber im Kreise des Rates zu suchen sei, denn es scheint naheliegend, daß der Stifter einen solchen der Tradition verhafteten Altar in einer Kirche aufstellte, die dem konservativen Rat unterstellt war. Ein möglicher Auftraggeber könnte aus der wohlhabenen Familie der Greverade stammen, da deren Schutzpatron, der Hl. Hieronymus, in das breite Mittelfeld der Predella gesetzt ist. Der Kirchenvater Hieronymus nimmt auch auf dem Memlingaltar (Nr. 9), einer Stiftung der Greverades, eine wichtige Stellung ein. In seinen Schriften wird der Heiligenverehrung besondere Bedeutung zugemessen. Das Bildprogramm des prächtigen Altares setzt sich aus einzelnen Heiligen und biblischen Szenen zusammen. Im architektonisch herausgehobenen Zentrum steht die Madonna als die allumfassende Mittlerin. In ihr werden wesentliche ikonographische Merkmale der Mariendarstellung verbunden: Sie wird von einem mandorlaförmigen Strahlenkranz umgeben, der in Rosenblüten endet, fünfzig kleinen und fünf großen, wie es den Perlen des Rosenkranzes entspricht. Unter ihren Füßen ist die Mondsichel mit einem männlichen Antlitz zu sehen. Mondsichel und Strahlenkranz der Sonne sind die Zeichen des apokalyptischen Weibes (Offenbarung des Johannes, 12), das seit dem hohen Mittelalter mit Maria gleichgesetzt wird. Engel heben sie empor und krönen sie zur Himmelskönigin; das Szepter weist sie als Herrscherin der Welt aus. Dieselbe Funktion hat auch der Apfel, den ihr das Jesuskind reicht; zugleich bedeutet er die Tilgung der Schuld Evas. Alle zugeordneten Symbole dienen der Verherrlichung Mariens. Rechts und links der überhöhten Mittelfigur stehen gleichsam als "Schreinwächterinnen" Katharina und Barbara, die beliebtesten weiblichen Heiligen des Mittelalters. Der Altar greift das Motiv des Rosenkranzes in den biblischen Szenen noch einmal auf. Der Zentralfigur werden vier Stationen aus dem Leben Mariens zugeordnet: Die Verkündigung, die Geburt, die Anbetung der Könige und die Beschneidung Jesu. Die ersten beiden Szenen gehören zu den fünf Geheimnissen des "freudenreichen Rosenkranzes", der sich auf die Menschwerdung des Heilands bezieht. Die Beschneidung, bei der zum ersten Mal das Blut Christi vergossen wird, weist auf den "schmerzensreichen Rosenkranz", der die Passion zum Inhalt hat. Die Szene der Hl. Drei Könige dient in diesem Zusammenhang der Repräsentation der Madonna, der zusammen mit dem Christuskind gehuldigt wird. Das Bildprogramm wird durch Heiligengestalten ergänzt. In den Flügelaufsätzen - eine Schreinform, die ursprünglich aus den Niederlanden stammt, aber bald in ganz Deutschland Verbreitung fand - stehen Christophorus und Georg, die zu den beliebtesten männlichen Schutzpatronen gehören. In der Predella nimmt Hieronymus die herausragende Stellung in der Mitte ein. Die ihm zugeordnete Nische ist die größte und entspricht genau der Breite des Marienschreins im Mittelfeld, unter dem sie angeordnet ist. In seinen Schriften spielt die Verherrlichung der Jungfräulichkeit Marias eine zentrale Rolle. Der Pilgerheilige Jakobus der Ältere steht ihm zur Rechten, zu seinen Attributen zählt auch der Rosenkranz. Auf der linken Seite ist der Pestheilige Rochus mit dem Engel zu sehen. Die fehlenden Figuren in den beiden Außennischen sind nicht eindeutig zu rekonstruieren; es könnten Antonius und Sebastian gewesen sein, die zusammen mit Rochus als Schutzheilige gegen die Pest angerufen wurden (vgl. Inv.Nr. 1, Antoniusaltar und Inv.Nr. 9, Sippenaltar der Georgsbruderschaft). Von allen Schreinen im St. Annen-Museum ist der Marienaltar der prunkvollste. Auffallend ist vor allem das außerordentlich reiche, feingliedrige Maßwerk, das, in mehreren Schichten hintereinandergestaffelt, entscheidend das Erscheinungsbild des Altares prägt. Die architektonischen Elemente bestimmen das Retabel: Die Figuren stehen in Nischen, die durch die Maßwerkfenster den Eindruck eines Kirchenraums erwecken, die Nische des Hieronymus ist als Studierzimmer, sein "Gehäuse", ausgestattet. Auch die Fassung der Figuren ist aufwendig und abwechslungsreich. Kostbare Lüsterung, feine Ornamentik und eingearbeitete Schriftborten beleben die Oberfläche der Gewänder. In Lübeck findet sich kein ähnlich gestalteter Altar. Verwandtschaft in den Figuren zeigt der Hildesheimer Johannesaltar in St. Michael. Es ist deshalb möglich, daß der unbekannte Meister in Hildesheim geschult worden ist oder sogar von dort stammt. Der Marienaltar weist in den überlängten Figuren, den melancholischen, feingliedrigen Gesichtern Anklänge an süddeutsche Plastik auf, vor allem an die Kunst Riemenschneiders und Veit Stoß', die zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch im norddeutschen Raum Einfluß gewinnt. Ganz eindeutig ist, daß der Meister sich bei der Ausführung der biblischen Szenen an allgemein bekannten graphischen Blättern orientierte. Die Vorlagen für die Anbetung der Hl. Drei Könige und die Beschneidung waren die Holzschnitte Dürers. Auch in anderen Szenen werden Einzelmotive der Dürerschen Graphik verwendet. Typisch für die letzte Blüte der mittelalterlichen Plastik im norddeutschen Raum kurz vor der Refomation sind die dynamischen Faltenwirbel und die scharfkantigen, metallisch wirkenden Faltengrate (vgl. auch Inv. Nr.1, Antoniusaltar und Inv.Nr. 9, Sippenaltar der Georgsbruderschaft). Die Reformation, in deren Folge keine Heiligenbilder mehr in Auftrag gegeben werden, setzt der hochkultivierten Schnitzkunst ein Ende. Heise/Vogeler 1993, Kat. Nr. 24 Literatur:
Inventarnummer: 1989-A1 Abbildungsrechte: St. Annen-Museum
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